Entwicklung eines Konzepts verteilter, objektorientierter Bilddatenbanken im technischen und künstlerischen Einsatzfeld am Beispiel eines Informationssystems zum Werk Pablo Picassos

Auszüge aus dem Projektantrag


Vorbemerkung

Die Darstellung des Projektes "Entwicklung eines Konzepts verteilter objektorientierter Bilddatenbanken im technischen und künstlerischen Einsatzfeld am Beispiel eines Informationssystems zum Werk Pablo Picassos" liegt sowohl in kurzer Fassung für den eiligen Leser (Anlage 1 und 2) als auch in ausführlicher Form dem Antrag bei.

1. Thematik - Art und Zweck des Vorhabens

1.1. Aufgaben

Ein Ziel des Projektes ist der Nachweis der Durchführbarkeit eines Konzeptes für ein verteiltes, anwendungsorientiertes multimediales Informationssystem. Hauptaufgabe hierbei ist die Entwicklung von Strukturierungskonzepten auf der Basis verteilter objektorientierter Datenbanken

- zur bestmöglichen Verteilung von Daten nach inhaltlichen und datenbankspezifischen Gesichtspunkten

- zur Zugriffssteuerung

- zur graphischen Formulierung von Abfragen auf verteilten Datenbeständen

Die hierzu benötigten Softwarewerkzeuge sollen so entwickelt werden, daß sie in das Konzept einer dezentralen Objekthaltung auf der Grundlage vorhandener Standards (wie etwa CORBA- oder ODMG- Standard) eingebettet werden können.

Die Thematik wird am bildnerischen Werk Picassos behandelt, weil unter anderem

- das große Gesamtvolumen des Werkes durch komplexe, aber in Regeln faßbare Strukturen hochgradig vernetzt ist und diese Struktur neue Formen der Speicherung und Recherche erzwingt,

- die Verteilung des Materials auf verschiedene Museen und Sammlungen eine Telekooperation bedingt,

- die Bedeutung multimedialer Datenbanken für computerunterstütztes Lernen evident werden kann.

Durch die enge interdisziplinäre Kooperation zwischen Kunst und Informatik soll bewiesen werden, daß die Umsetzung künstlerischer Strukturierungsprinzipien adäquat im Computer möglich ist. Dieser Ansatz ist sowohl im Bereich der Informatik als auch in der Bildenden Kunst neu. Die nichttechnische Anwendung einer multimedialen Datenbank trifft im Medienstandort Mainz auf ein günstiges Umfeld, um ihren Einsatz in verwandten Problemfeldern zu erproben.

1.2. Vorarbeiten und wissenschaftliche Grundlagen

Durch die Wahl eines objektorientierten Datenbanksystems ist die Voraussetzung zur Abbildung komplexer vernetzter Bildstrukturen gegeben, was bei der Verwendung eines konventionellen relationalen Modells in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Die Umsetzung des objektorientierten Modells erfolgte bereits im Rahmen des PARES-Projektes und ist in den Arbeiten (1) bis (7) dokumentiert.

Besonderer Wert wurde dabei auf die Unabhängigkeit der Anwendung von einem konkreten OODBMS und einer konkreten Anwendung gelegt, so daß die Ergebnisse auf andere übertragbar sind. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung einer graphischen Oberfläche zur Formulierung von datenbanksystem-unabhängigen OQL-Abfragen.

Im Bereich der Forschung über Strukturierungsmöglichkeiten im Werk Picassos wurde - im Gegensatz zu konventionellen Strukturierungsmodellen - eine Ordnung über bildnerische Strukturen entwickelt, die eine Struktur aus den "Bildobjekten" selbst und ihren Beziehungen untereinander entstehen läßt. Teile dieser Struktur wurden im PARES-Projekt auf eine OODB abgebildet. Die kunstwissenschaftlichen Grundlagen für eine solche Vorgehensweise sind bereits entwickelt.

Theoretische Grundlagen aus dem Bereich der Informatik wurden im Projekt PARES erarbeitet und umgesetzt.

1.3. Zu erwartende Ergebnisse

Das Projekt führt zur Konzipierung und Implementierung einer Designstrategie für hochstrukturierte multimediale verteilte objektorientierte Datenbanken, die die Möglichkeit einer optimalen Recherche ermöglichen. Der Aufbau der Datenbank aus der Objektstruktur - und nicht in konventioneller Weise nach von außen herangetragenen Ordnungsmerkmalen - ermöglicht den Benutzern Möglichkeiten des strukturorientierten Einstiegs, dadurch Anschaulichkeit, Orientierung und die Möglichkeit zielgerichteter Interessenformulierung. Im einzelnen ergeben sich:

- Entwicklung von Modellierungs-, Zuordnungs- und Zugriffskonzepten bei verteilten objektorientierten Datenbanken und dazugehöriger Werkzeuge zum Entwurf sowie zur Implementierung

- Effiziente Abfragestrategien für verteilte objektorientierte Datenbanken.

- Graphische Werkzeuge für Oberflächen (Mensch - Maschine-Schnittstellen) zur schnellen und übersichtlichen Navigation in stark vernetzten Datenbeständen, die eine Exploration durch den Benutzer erlauben, ohne dabei feste Strategien durch antizipiertes Benutzerverhalten vorzugeben.

- Der Prototyp einer verteilten Picasso-Datenbank.

1.4. Lösungsansätze

Durch die Modellierung von Datenbankzuständen und Aktionen mit Hilfe von Graphgrammatiken ist eine Möglichkeit gegeben, Abfragen und Manipulationen auf einem zentralen (Server-gesteuerten) OODBMS zu spezifizieren und zu implementieren. Verteilte OO-Datenbanken erfordern eine Erweiterung des Modells um zeit- und ortsabhängige Strategien. Ansätze zur Modellierung von Prozeßkommunikationssystemen mit Hilfe von Graphgrammatiken können möglicherweise in den vorhandenen Ansatz integriert werden und somit eine graphische, effiziente Modellierung ermöglichen. Durch die Unabhängigkeit der Ansätze von konkreten Systemen ist die Basis zur standardisierten Integration in ein verteiltes Objektnetz geschaffen. Im Bereich von Benutzeroberflächen und Multimedia-Anwendungen können Arbeiten von Universitäten und Firmen aus Rheinland-Pfalz integriert werden.

Durch das von kunstwissenschaftlicher Seite erstellte Konzept zur Orientierung im Gesamtwerk Picassos kann ein Strukturierungsmodell für Datenbanken mittels einer gegliederten, nach wissenschaftlichen Anwendungsbereichen differenzierten Ordnung auf verschiedenen Ebenen erstellt werden. Dabei wird auf den in PARES entwickelten Konzepten und Methoden und auf weiteren aktuellen Lösungsansätzen (z.B. CORBA) aufgebaut.

1.5. Transfer

Die gewonnenen Ergebnisse lassen sich durch die Unabhängigkeit des beschriebenen Lösungsansatzes von einer konkreten Anwendung auch auf diverse andere Bereiche wie Medizin, Planungssysteme im Bereich der Technik und Architektur oder auch der Restaurierung und Denkmalpflege übertragen.

2. Bedeutung des Vorhabens

2.1. Bedeutung für die Antragsteller

Ein wesentlicher Aspekt liegt im Ausbau und der Erhaltung von vorhandenen interdisziplinären Forschungskapazitäten, die im Rahmen des PARES-Projekts aufgebaut wurden. Durch das vorliegende Projekt können die Forschungsarbeiten in den zukunftsweisenden Bereichen `Objektorientierte Datenbanken und verteilte Anwendungen' sowie `Multimedia' intensiviert werden. Diplomarbeiten und Praktika können dazu dienen, das vorhandene Wissen weiterzugeben und Spezialgebiete zu vertiefen. Auf diese Art und Weise wird eine Basis für zukünftige Forschungsarbeit geschaffen.

2.2. Bedeutung für die Forschung und den Wissenstransfer in Rheinland-Pfalz

Ein innovativer interdisziplinärer Forschungsansatz mit neuen Konzepten und Methoden kann erweitert und gesichert werden.

Die bewährte Kooperation zwischen der Universität Mainz, den Fachhochschulen und Anwendungspartnern in Rheinland-Pfalz, wie sie im Projekt PARES aufgebaut wurde, wird intensiviert und gepflegt. Die oben genannten Möglichkeiten bewirken im Bereich dieser neuen, innovativen Technologie eine Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in unserem Bundesland.

2.3. Bedeutung für die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft

Der Erhalt und Transfer von Wissen über Multimedia- und Hypermedia-Anwendungen ist für einen Medienstandort wie Mainz von ausschlaggebender Bedeutung, wenn Aktivitäten in diesem Gebiet als die "größte Revolution seit Gutenberg" gelten.

Durch eine enge Kooperation mit Medienanbietern, Softwarehäusern, Universitäten und Fachhochschulen kann eine gemeinsame Plattform zum Wissensaustausch geschaffen werden. Die im Rahmen des Projektes entwickelten Methoden und Werkzeuge können von der rheinland-pfälzischen Wirtschaft in verschiedenen Anwendungen eingesetzt werden.

3. Ausführliche Darstellung des Projektes

3.1. Beschreibung

3.1.1. Eine Bilddatenbank zum Werk Pablo Picassos

Im Gegensatz zu konventionellen Strukturierungsmodellen läßt sich zum Werk Picassos eine Ordnung über bildnerische Strukturen, eine Datenbankstruktur aus dem "Objekt" selbst entwickeln. Dieses Merkmal bestimmte schon im Projekt PARES die Vorgehensweise.

PARES verfolgte die datenreduzierte Speicherung von regelbasierten Bildreihen. Dabei geht man davon aus, daß ein (Picasso-) Bild - beginnend mit der leeren Bildfläche - schrittweise durch Einfügen und Transformieren elementarer geometrischer Objekte unter Einhaltung von Integritätsbedingungen in Analogie zur Konstruktion einer Maschine generiert werden kann. Bereits die in PARES entwickelten Methoden, wie etwa "objects with history", lassen sich auf andere Bereiche, wie Architektur und Technik, unmittelbar übertragen.

Bislang deckt ein einzelner PARES-Rekonstruktionsweg alle Kriterien, wie Vernetzung der Gruppe, Recherche, didaktische Anschaulichkeit hinsichtlich der Entwicklung des Einzelwerks usw., ab. Jetzt aber soll eine Aufgliederung der mit einem Objekt abgelegten Materialien erfolgen, um einem Benutzer einen multimedialen Zugang zu diesen Daten zu ermöglichen. Die Aufteilung folgt den verschiedenen mit dem Bildmaterial verbundenen Absichten und Funktionen und weist den Teilbereichen spezielle Aufgaben zu. Von oben nach unten ergibt sich folgende hierarchische Struktur (Siehe Figur 1).

Ebene A - Vernetzung und Recherche

Sie bedingt die stärkst mögliche Straffung und Vereinfachung des Bildrekonstruktionsverlaufs hinsichtlich einfachster eindeutiger Form und Unverwechselbarkeit des Objekts sowie optimaler Darstellung der Vernetzung im Gesamtwerk. Ziel ist die größtmögliche Datenreduzierung, aus der eine Vereinfachung und Beschleunigung von Verwaltung und Recherche resultiert.

Ebene B - Didaktische Darstellung

Auf dieser Ebene ist eine Bearbeitung hinsichtlich maximaler Erläuterung und Anschaulichkeit der Struktur des Einzelobjektes angesiedelt, mit der Möglichkeit multimedialer Präsentation. Es erfolgt eine hypermedial gestufte Anbindung verschiedener Multimedia-Dokumente an die zentrale Darstellungsstruktur in Form des detailliert den Einzelheiten des Objektes folgenden rekonstruierenden Bildverlaufs.

Es besteht eine Verbindung zwischen Ebene A und B durch prinzipielle Gleichsetzung von Einzelbildern des detaillierten Verlaufes mit prägnant vereinfachten Bildern der übergeordneten Vernetzungs- und Recherchestruktur.

Ebene C - Bildnerische Verhaltensweisen und Formfunktionen

Diese Kategorie vereint anwendungsbezogen exemplarisches Material für bildnerische Problemlösungen und bildnerisches Gestalten. Sie zielt z.B. auf die Kommunikation mit einer Anwendergruppe im Bereich der bildnerischen Praxis (Kunsthochschulen, FH Gestaltung, Kunstgewerbliche Fachschulen), besonders aber des Design und der Visuellen Kommunikation. Das exemplarische Material ist in Verbindung mit der didaktischen Darstellung der Ebene B an das Einzelobjekt gebunden, jedoch als selbständiger Bereich abgrenzbar und für das Gesamtwerk strukturiert.

Insgesamt muß eine Durchlässigkeit und Korrespondenz zwischen den Ebenen A und B sowie den Ebenen B und C bestehen, wobei Ebene A die allen übergeordnete Struktur ist und Ebene C sich als ein für die bildnerische Praxis und Schulung strukturierter Auszug aus Ebene B darstellt.

Figur 1: Die Strukturierung der Datenbank in 3 Ebenen

3.1.2. Vorarbeiten und Voraussetzungen

Es liegt ein vollständiges, fotografisch dokumentiertes, konventionelles Bildarchiv der Werke Pablo Picassos vor. Für die Analyse und Strukturierung dieses Werkarchivs wurde eine Methode erarbeitet, die es erlaubt, die Struktur eines Bildes und seine Vernetzung in Werkgruppe und Gesamtwerk zu erfassen und darzustellen.

Die Grundlage der Methode bildet die Strukturanalyse und die daraus erfolgende "Rekonstruktion" des Einzelwerkes. Unter dem Begriff "Rekonstruktion" wird die Darlegung der bildnerischen Struktur in einer Bildfolge, die sich vom einfachsten Ausgangspunkt des Bildformates bis zur endgültigen Form schrittweise entwickelt, verstanden. Der Verlauf der "Rekonstruktion" folgt für alle Werke einheitlich einer verbindlichen Struktur, die sich in 5 Operationsgruppen gliedert und dem Weg von einer symmetrischen zur asymmetrischen Bildgestalt folgt.

Aus den Rekonstruktionsreihen bildet sich die nächste Einheit, die Werkgruppe (siehe Figur 2, oben). Die Systematik des Rekonstruktionsweges erlaubt die parallele Vernetzung sich entsprechender Entwicklungsschritte bei verschiedenen Bildern. Die Vernetzung kann unterschiedlichen Kriterien folgen. Es zeigen sich in der Parallelität der Schritte die Verbindung zwischen den Einzelbildern, die prinzipielle Verwandtschaft alternativer Formen und - exemplarisch - bildnerische Handlungsregeln. Methodisch entsteht eine direkte Korrespondenz von Stationen verschiedener Rekonstruktionsverläufe. Stellt man sich eine "Rekonstruktion" als horizontalen Verlauf vor, so entsteht die Werkgruppe aus der Schichtung verschiedener Verläufe und ihrer Vernetzung in der "Senkrechten".

Die nächste strukturelle Einheit bildet sich aus der Zusammenfassung der Werkgruppen im Zeitraum eines Jahres (siehe Figur 2, Mitte). Indem sie der konventionellen Gliederung eines künstlerischen Œuvres folgt, stellt sie die Verbindung des strukturorientierten Ansatzes mit den üblichen Methoden dar. Wie zwischen den Einzelbildern einer Rekonstruktion innerhalb einer Werkgruppe lassen sich auch zwischen den Werkgruppen auf der Ebene eines Jahres Vernetzungen, begründet durch entsprechende Formen oder bildnerische Entscheidungen, herstellen. Aus der Schichtung der Jahresebenen bildet sich quasi als vierte strukturelle Dimension das Volumen des Gesamtwerks (siehe Figur 2, unten).

Figur 2: Die Strukturierung des künstlerischen Werks

Zwischen allen Ebenen bestehen Vernetzungen der Einzelbildstrukturen, so daß beispielsweise die Entwicklung und Variation eines bestimmten formalen Prinzips durch das Gesamtwerk hindurch verfolgt werden kann. Die systematisierte Ablage der Bildstrukturen in Entwicklungsverläufen soll aus der Vernetzung die Recherche nach verschiedenen Aspekten, wie Entwicklungsfolgen, formalen Themen, Gegenständen, Gegenstandsfolgen, Werkverwandtschaften usw., selbstverständlich auch konventionelle Abfragen, wie etwa nach der chronologischen Abfolge, erlauben.

Die skizzierte methodische Grundlage bildet den Ausgangspunkt für die oben dargestellte Gliederung der Datenbank durch ein gestuftes, dreiteiliges Strukturierungsmodell. Die Implementierung einer Datenbank für ein solch eng verknüpftes Objektnetz stellt eine besondere Herausforderung dar.

3.1.3. Perspektiven und Ziele

Der Ausbau der Datenbank wird zur Erfassung neuer Strukturen und bildnerischer Verhaltensweisen im Werk Picassos führen. Sie sind auf ihre Eignung für die verschiedenen Bereiche zu prüfen:

- Verwaltungsstruktur und Darstellung der Vernetzung.

- Didaktische Anschaulichkeit.

- Bereitstellung exemplarischer Formen und bildnerischen Problemlöseverhaltens für den Anwender aus Bereichen wie Design, Visuelle Kommunikation.

- Übertragbarkeit auf nicht-künstlerische Bereiche.

In der Möglichkeit zur Entwicklung der Ordnungs- und Verwaltungsstrukturen der Datenbank aus der Struktur der Objekte selbst besitzt das bildnerische Werk Picassos exemplarischen Charakter. Ein innovativer Aspekt besteht in einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Kunst und Informatik, die nicht nur eine Bereitstellung von Technik auf der einen und ein Anwenden und Spielen mit diesen Mitteln auf der anderen Seite darstellt, sondern Strukturen und Regeln der jeweiligen Disziplin in die andere zu übertragen sucht.

Die sich ergebende Komplexität in der Interaktion und Vernetzung der Objekte stellt nicht nur eine besondere Aufgabe dar, sondern öffnet dem Benutzer Möglichkeiten des strukturorientierten Einstiegs unter objektimmanenten Gesichtspunkten, dadurch Anschaulichkeit, Orientierung und die Möglichkeit zielgerichteter Interessenformulierung. In konventionellen Datenbanksystemen wird in der Regel ein Benutzerverhalten antizipiert, was lediglich eine starre Exploration dieser Datenbank zuläßt. Die volle Flexibilität in der Abfrage solcher Datenbanken wird durch nichtgraphische Abfragesprachen wie SQL erreicht, welche exakte Kenntnisse über die Struktur des zugrundeliegenden relationalen Modells voraussetzen. Für die vorliegenden komplexen Objektnetze ist dies praktisch undenkbar. Die Komplexität dieser Datenbankstrukturen beinhaltet neue Informationen, deren Nutzung nur durch ein adäquates Abfragesystem möglich wird. Um einen freien Zugang auf diese Daten zu erlauben, müssen die Recherchewerkzeuge sowohl die konventionellen Abfragemöglichkeiten vorsehen als auch einen einfachen Zugriff auf spezifische Strukturen ermöglichen. Dieses Konzept für den Aufbau und die Verwaltung einer Datenbank aus der Objektstruktur - und nicht in konventioneller Weise nach von außen herangetragenen Ordnungsmerkmalen - besitzt in einer Situation der ständig zunehmenden Vernetzung und Datenfülle zukunftsweisende Bedeutung. Die Trennung in drei hierarchisch gestufte Ebenen mit verschiedener Zielsetzung erlaubt die Zusammenfassung detailliertester multimedialer Veranschaulichung und Information mit ökonomischer, sachstrukturierter, datenreduzierter Orientierung und Recherche für die umfangreiche Bildmenge des Gesamtwerks.

Die starke Verschränkung der verschiedenen Datenbanken erfordert vollkommen neue Konzepte der Datenbankverwaltung und Organisation. Ort und Art der Versionsverwaltung und Zugriffsschutz sind Themen, die neu durchdacht werden müssen.

3.2. Konzept einer verteilten Bilddatenbank

3.2.1. Die Strukturierung in drei Ebenen

Über die Analyse der Semantik des vorliegenden Strukturierungsmodells (Figur 2) soll für die Datenbank eine hierarchisch gegliederte, zweckdifferenzierte Ordnung auf drei verschiedenen Ebenen entwickelt werden, wie sie eingangs in Figur 1 dargelegt wurde.

Ebene A bildet die Vernetzungsstrukturen innerhalb der Werkgruppen und des Gesamtwerks ab. Die Forderung nach optimaler Vereinfachung und Beschleunigung von Verwaltung und Recherche bedingt die Rückführung der Objekte auf die einfachste eindeutige Form und die weitestmögliche Reduzierung des Konstruktionsverlaufs unter der Vorgabe der einfachsten, unverwechselbaren, optimal vernetzten Struktur.

Ebene B ist direkt mit der ersten verbunden, indem die dargelegten Strukturen in jeder Ebene abgebildet werden müssen, einmal unter dem Gesichtspunkt der Gruppenvernetzung, zum anderen im Rahmen des kontinuierlichen, objektnahen und didaktisch anschaulichen Bildentwicklungsverlaufs. Die Konstruktionsschritte, die die gleiche Stufe in der Entwicklung des Einzelobjektes bezeichnen, müssen in beiden Ebenen nicht identisch sein, sondern können für Ebene A unter Wahrung der Bedingung von Unverwechselbarkeit und Prägnanz elementar vereinfacht werden, während sie sich auf Ebene B präzise an der Struktur des Einzelobjektes orientieren.

Ebene C greift exemplarisch auf "Phänomene" des Bildaufbauprozesses in Ebene B zu und strukturiert diese Formen und Regeln z.B. in Richtung

Bildnerische Probleme ---> Formlösungen, Bildnerische Sprache ---> Kommunikation

um sie einer Anwenderzielgruppe zur Verfügung zu stellen.

Eine anspruchsvolle Aufgabenstellung besteht in der Modellierung dieser komplexen Vernetzungen in einem objektorientierten Datenbankmodell. Die verschiedene Durchlässigkeit und Verbindung fordert eine Realisierung der Zugriffsrechte und Zugriffsmethoden entsprechend der hierarchischen Stufung und Funktion der einzelnen Ebenen.

Die hochgradig komplexe Struktur des Anwendungsgebietes erlaubt es nicht mehr, einfache Abfragen wie "Zeige alle Bilder aus dem Jahr 1923" durchführen zu können. Vielmehr ist an dieser Stelle ein Abfragesystem vonnöten, das die strukturelle Kom-plexität versteckt, aber trotzdem jede mögliche Abfrage zuläßt. Man spezifiziert, was man will, aber nicht, wie man an diese Daten kommt. Weiterhin ist darauf zu achten, daß beispielsweise Multimedia-Datensätze nur dann transportiert werden, wenn sie wirklich nötig sind. Ein sehr einfaches Beispiel demonstriert bereits Problematiken, deren Lösung eine Strategie zur Abfrageoptimierung erfordert:

select Portrait

from KUENSTLER

where KUENSTLER . anzahl(BILDER) > 100 and KUENSTLER . Name = 'Picasso'

Der Standardweg wäre, zunächst eine lokale Sicht zu erstellen, die alle Künstler enthält, die mehr als 100 Bilder gemalt haben, d. h. diese "Künstler"-Objekte mitsamt den dazugehörigen MegaByte-Porträts zum eigenen Rechner zu transportieren und anschließend aus diesen die Künstler auszuwählen, die 'Picasso' heißen. Ein Umdrehen der Selektionsreihenfolge würde die Abfrage erheblich beschleunigen, da nur ein Porträt zu transportieren wäre.

Durch unsere Ebenenhierarchie und den Zugriff auf externe Rechner muß neben der erwähnten Abfrageoptimierung auch eine Koordinierung der Abfrage durch parallele und sequentielle Teilabfragen geschehen. Dieses Problem der optimalen Zerlegung einer Abfrage ist sicherlich ein Problem, das an die Grenzen der Entscheidbarkeit stößt und wahrscheinlich nur durch Einschränkung der Struktur oder heuristisch lösbar ist.

3.2.2. Die Struktur der Ebene A - Verwaltung und Recherche

Die Struktur von Ebene A (vgl. Figur 1) entspricht unter der Vorgabe größtmöglicher Komprimierung und Reduktion dem schon dargestellten Vernetzungsmodell über Werkgruppen (Figur 2). Die im "Rekonstruktionsverlauf" abgelegten Strukturen der Einzelbilder werden zu Werkgruppen vernetzt, diese wiederum in ihren Zusammenhängen in der graphisch als Fläche vorstellbaren Einheit eines Jahres abgebildet. Die Schichtung der Jahresflächen und die Verbindungen zwischen diesen gliedern die formalen Aspekte des Einzelbildes in die Struktur des Gesamtwerkes ein.

Den Kern von Ebene B bilden die hinsichtlich maximaler Anschaulichkeit bearbeiteten, sich präzise an der Struktur des Einzelobjekts orientierenden Rekonstruktionsverläufe. Ihre wesentlichen Aspekte werden in Ebene A abgebildet, wodurch sich die zentrale Struktur von Ebene B und die Struktur von Ebene A entsprechen. Auf diese Weise ist der umfangreiche Datenbestand von Ebene B, der unter dem Aspekt multimedialer Repräsentation beständig erweitert werden soll, datenreduziert und effizient zu verwalten.

3.2.3. Die Struktur der Ebene B - Multimediale Präsentation

Figur 3: Ebene B - Multimediale Repräsentation

Auf Ebene B werden mit der zentralen Darstellungsstruktur des Rekonstruktionsverlaufs weitere, unter didaktischen Gesichtspunkten ausgewählte und strukturierte Informationen verbunden (s. Figur 3). Es erfolgt eine hierarchisch gestufte Anbindung der verschiedenen Dokumente an die zentrale Darstellungsstruktur.

Mit den Rekonstruktionsverläufen können multimedial repräsentierte Dokumente verbunden werden, wie

- Bilddokumente: Originaldokument, filmische Animation, Bilder zur Dokumentation verwandtschaftlicher Strukturen, Zustandsphotographien, Kopien etc.

- Gesprochene Textdokumente: Begleittext der Bildfolge, Begleittext im Zusammenhang filmischer Animation etc.

- Geschriebene Textdokumente: Begleittext der Bildfolge, Textdokumente wie Zitate des Künstlers, von Kritikern etc.

Figur 3 macht deutlich, wie wichtig die Entwicklung eines Verwaltungssystems (einer Versionskontrolle) für diese Anwendung ist.

3.2.4. Ebene C - Ein Kommunikationsmodell

Zielgruppe der auf Ebene C befindlichen Dokumente sind Institute für bildnerische Praxis und Gestaltung, wie Fachhochschulen mit den Fachbereichen Design und Visuelle Kommunikation, Kunstgewerbliche Fachschulen und Kunstakademien. Das Angebot exemplarischer formaler Gestaltungen zielt auf die Kommunikation mit einem Benutzerkreis, der seinerseits die Informationen in Produktionen umsetzt und so einen korrespondierenden Objektbestand erzeugt. Dieser wird in einer eigenen Datenbank verwaltet. Es existiert auf diese Weise bei jedem Kommunikationspartner eine Datenbank verschiedenen, doch korrespondierenden Inhalts, wodurch ein enger Bezug, ohne inhaltliche Überdeckung, entsteht.

Die Möglichkeit eines Zugriffs auf die anwendungsbezogenen Realisationen des auswärtigen Partners erweitert den Bestand des exemplarischen Angebotes "formaler Praxis" der Ebene C. Die Einbeziehung der auswärtigen Datenbestände entspricht dem nachfolgend in Figur 6 dargestellten Modell, indem eine Verbindung von Objekten der Ebene C mit Objekten des Partners erfolgt.

3.2.5. Verteilte Datenbanken - Erweiterung des Benutzerkreises

Unter dem Stichwort verteilter Datenhaltung zeigen sich im vorliegenden Modell zwei Dimensionen:

1. Eine "interne" Verteilung, möglichst auf drei separaten Rechnern, entsprechend den drei funktionalen Ebenen des Datenbankmodells.

2. Eine "externe" Verteilung durch Korrespondenz mit auswärtigen Datenbanken, deren Bestand zwar in unser Modell integriert ist - der jedoch am entsprechenden Ort für unseren Zugriff offen - gelagert bleibt.

Um eine schnelle Kommunikation zwischen diesen verteilten Datenbanken zu ermöglichen, ergeben sich zwei Möglichkeiten:

- Eine Beschleunigung des Datentransfers durch Hochgeschwindigkeitsnetze.

- Eine Komprimierung der Daten. Hier setzt unser Datenbankmodell an, indem eine optimale Reduzierung der "Verwaltungsstrukturen" auf der 1. Ebene erfolgen wird. Auch die 2. und 3. Ebene wird durch das im Projekt PARES entwik-kelte Konzept der "objects with history" und Graphgrammatiken einer Datenreduzierung Rechnung tragen.

Die Struktur der zentralen Datenbank über drei vernetzte Ebenen mit unterschiedlicher Zielsetzung und Funktion läßt aus zwei verschiedenen Richtungen eine Verbindung mit auswärtigen Datenbanken und Kommunikationspartnern zu.

Figur 4.a.: Kommunikation mit externen Datenbanken.

Zunächst ist vorstellbar, daß von der "Verwaltungsebene" A eine Verbindung zu auswärtigen Datenbeständen in jenen Archiven, Museen etc. gesucht wird, in denen die Originale verwahrt sind. Die "objektimmanente" Datenbankstruktur muß die konventionellen Ordnungskategorien dieser Institute aufnehmen können, um eine Kommunikation zu ermöglichen.

Die zweite Möglichkeit einer Verbindung mit auswärtigen Datenbanken ergibt sich auf der anwendungsorientierten Basis von Ebene C. Die Anwender greifen auf Konzepte dieser Ebene unserer Datenbank zu und erzeugen "Exemplare" der Konzepte. Diese "Exemplare" können wiederum von uns abgefragt werden.

Figur 4b zeigt die technischen Voraussetzungen für eine Realisierung des in Figur 4a dargestellten Modells.

Figur 4.b.: Technischer Aufbau des Modells Figur 4a

Die vorgegebene Problemstruktur erfordert eine genaue Analyse der Datenhaltung sowohl bezüglich der drei Betrachtungsebenen als auch bezüglich der unterschiedlichen Benutzerkreise (Museum, Intern, Lehre).

Am zentralen Server sind sowohl die unter didaktischen Gesichtspunkten erarbeiteten Bildrekonstruktionen als auch die in Figur 3 dargestellten multimedialen Erweiterungen abgelegt. Auf Ebene A und Ebene C liegen die dazugehörigen komprimierten Daten. Figur 5 zeigt eine objektbezogene Darstellung des Sachverhalts. Ein Bildobjekt mit seinen Bestandteilen erstreckt sich über drei Rechner, bzw. Datenbankebenen. Der zentrale Teil auf dem Server der Ebene B enthält die "didaktischen Komponenten", der Server für Ebene A die komprimierten (relevanten) Daten und der dritte für Ebene C die für eine Anwenderzielgruppe bereitgestellten bildnerischen "Regeln" und "Formphänomene".

Figur 5: "Interne" Verteilung eines Objektes auf den Datenbankebenen.

Unter dem Aspekt verteilter Datenbanken stellt sich als weitere Aufgabe das Problem einer Integration der externen Informationen. Die Datenbanken von Archiven und Museen enthalten die Stammdaten zu den jeweiligen Bildern. Zur Vermeidung redundanter Speicherung - z.B. von gescannten Bildern - werden konzeptionell diese Daten auf dem jeweiligen Museumsrechner belassen und darauf von unseren Rechnern zugegriffen. Logisch befinden sich diese Daten jedoch auf dem "Ebene A-Rechner" unseres lokalen Netzes. Diese Erweiterung ergibt das in Figur 6 dargestellte konzeptionelle Bild. Das gleiche gilt für die Einbindung der Datenbestände der mit Ebene C kommunizierenden Partner.

Figur 6: "Externe" Verteilung eines Objektes auf verschiedenen Datenbanken.

Das Problem verteilter Datenhaltung in unterschiedlichen Anwendungen (Datenbanken) auf unterschiedlichen Maschinen wird durch den CORBA-Standard der ODMG normiert. Auf der Basis von CORBA wird der normierte Nachrichtenaustausch zwischen den Kommunikationspartnern entwickelt.

Daß derartige Konzepte eines globalen Informationsaustauschs starke Beachtung finden, zeigt das Entstehen von WWW.

4. Durchführung des Vorhabens

Tätigkeitsbereich der Antragsteller

Dr. H. Göttler: Professor am Institut für Informatik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Kooptiertes Mitglied des Technologiebeirates des Landes Rheinland-Pfalz (Projektgruppe 14 - Informatik in nicht-technischen Bereichen).

Schwerpunkte: Programmiersprachen, Compilerbau, Graphgrammatiken, Software-Engineering.

G. König: Professor emeritus für Kunstwissenschaft am Fachbereich Bildende Kunst an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Schwerpunkt: Picasso-Forschung.

Dr. F. Wankmüller: Leiter des Bereichs Musikinformatik des Musikwissenschaftlichen Instituts an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Kooptiertes Mitglied des Technologiebeirates des Landes Rheinland-Pfalz (Projektgruppe 14 - Informatik in nicht-technischen Bereichen).

Stellvertretender Vorsitzender des Interdisziplinären Arbeitskreises Musik- und Kunstinformatik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Schwerpunkte: Formale Sprachen, Graphentheorie.

Verbreitung der Ergebnisse

5. Literatur

(1) H. Göttler, B. Himmelreich: "Two-Level Graph Grammars for Storing Images in Object-Oriented Databases", Bericht Nr. 8, Reihe "Musikinformatik & Medientechnik", Musikwissenschaftliches Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 1994.

(2) H. Göttler, B. Himmelreich: "Modelling of Transactions in Object-Oriented Databases by Two-level Graph-Productions", Proceedings on: "Fifth International Workshop on Graph Grammars and their Application to Computer Science", Williamsburg, USA, November 1994.

(3) B. Himmelreich: "Spezifikation von Zustand und Dynamik objektorientierter Datenbanken durch Graphgrammatiken". Dissertation, Mainz 1995.

(4) B. Himmelreich: "Modellierung von Aktionen in objektorientierten Datenbanken durch Zweistufen-Graphgrammatiken" in: S. Conrad, P. Löhr, G. Saake (Hrsg.): Kurzfassung 6. Workshop "Grundlagen für Datenbanken", Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Institut für Technische Informationssysteme, Bericht 94-01.

(5) T. Lipka: "Erstellen von Videoanimationen aus vorgegebenen Bildsequenzen". Diplomarbeit, Mainz 1994.

(6) S. Dupont-Christ: "Entwicklung und Implementierung einer graphischen Sprache für objektorientierte Datenbanken". Diplomarbeit, Mainz 1995.

(7) S. Wilhelm: "Objektorientierte Analyse und Implementation eines graphischen Editors zur Eingabe von Regeln einer Graphgrammatik". Diplomarbeit, Fachhochschule Rheinland-Pfalz, Abteilung Bingen, Fachbereich Elektrotechnik, 1994.

(8) H. G. König: "Die Bildlogik Picassos". Bericht Nr. 14, Reihe "Musikinformatik & Medientechnik", Musikwissenschaftliches Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 1994.

(9) B. Schäfer: "Die geometrische Form - Ein formales Prinzip bei Pablo Picasso". Bericht Nr. 18, Reihe "Musikinformatik & Medientechnik", Musikwissenschaftliches Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 1994.